Julia Mark |
(Bamberg, Lange Straße 13) |
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Das Haus Lange Straße 13, einst Haus zum Goldenen Löwen genannt, wurde 1797 nach dem großen Brand in der Langen Straße (1789) nach Plänen des Hofarchitekten Johann Lorenz Fink im Stil des Frühklassizismus errichtet. Über dem heutigen Portal befindet sich eine schlichte Steintafel, die an Julia Marc, die wichtigste Frauengestalt im literarischen Wirken des Dichters E.T.A. Hoffmann (1776-1822) erinnert: |
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F. u. V. V. Bbg. 1923 [1] |
E.T.A. Hoffmanns Beziehnung zu Julia Mark |
Im November 1808, kurz nach seiner Ankunft in Bamberg, wird der knapp 33-jährige E.T.A. Hoffmann bei der verwitweten Konsulin Mark eingeführt. Er soll die beiden Töchter im Gesang unterrichten. Julia Mark (1796-1864), die ältere, ist zu diesem Zeitpunkt dreizehn Jahre alt. Sie ist über ihr Alter gereift, hübsch und hat eine schöne Stimme. |
Zwei Jahre unterrichtet er sie, bis er sich irgendwann Ende 1810 in seine Schülerin verliebt. In seinem Tagebuch nennt er sie "Käthchen", abgekürzt "Kthch" oder Ktch. [2] Er muss ihren Namen verschlüsseln, weil seine Ehefrau Mischa manchmal in seinem Tagebuch liest. Trotzdem kommt es aber zu Eifersuchtsszenen. Über ein Jahr lang hat Hoffmann sich äußerste Zurückhaltung auferlegt, seine Gefühle nicht gezeigt und sie nur dem Tagebuch anvertraut. In griechischer, deshalb für Mischa nicht entzifferbarer Schrift notiert er am 16.02.1811: Diese romantische Stimmung greift immer mehr um sich und ich fürchte es wird Unheil daraus entstehen. Zwei Tage später: Ktch - in ihr leben und sind wir! |
Schnell erreicht seine nach außen stumme Leidenschaft eine verzweifelte Energie: Hol' der Teufel die kuriose Stimmung - entweder schieße ich mich tot wie ein[en] Hund, oder ich werde toll! (Tagebucheintrag 28.02.1811). |
Hoffmann liebt Julia nicht nur platonisch. Am 18.03.1811, seine Gefühle für das Mädchen haben laut Tagebuch beinahe den höchsten Gr(ad) erreicht, legt sich Hoffmann ins Bett und onaniert. Er verschlüsselt das in der Bemerkung Abends Pipicampo und geistiger Ehebruch. Natürlich wird sein körperliches Verlangen von der zunächst ahnungslosen Julia frustriert. Eine Affäre mit der sehr jungen Schauspielerin Demoiselle Neuherr,die er selbst als Blitzableiter(Tagebucheintrag vom 28.01.1812) bezeichnet, mildert den Druck der von Julia frustrierten Wünsche. |
Anfang 1812 kann Hoffmanns Vorsicht und Scheu die Gefühle gegenüber Julia nicht mehr zurückhalten. Wieder in griechischer Schrift notiert er am 20.01.1812: Sie weiß alles oder vielmehr ahnt. |
Die Mutter ahnt wohl auch etwas, denn Ende Januar 1812 gibt es im Hause Mark ärgerliche Szenen, die Hoffmann den Vorsatz fassen lassen, nicht mehr zu den Marks zu gehen.Wenige Tage später ist er aber wieder dort. |
Bei einigem Besinnen weiß Hoffmann, dass aus seinen leidenschaftlichen Wünschen keine Wirklichkeit werden kann. Die 20 Jahre jüngere Julia ist von der Mutter für eine einträgliche Ehe vorgesehen. Hoffmann ist verheiratet, seine gesellschaftliche Stellung in Bamberg mittelmäßig. Im März 1812 kommt der wohlhabende Kaufmannssohn Johann Gerhard Graepel aus Hamburg nach Bamberg. Die Konsulin Mark hat ihn für ihre Tochter Julia als Ehemann ausgesucht. Hoffmann hat in seinem Hund Berganza ein venichtendes Bild dieses Menschen gezeichnet. Graepel hat keinen Sinn für Kunst und Literatur. Hoffmann nennt ihn einen unsauberen Geist, der Abscheu und Ekel erregen musste; nicht nur Hoffmann, auch andere Bamberger, die im übrigen nichts gegen solche Ehegeschäfte einzuwenden hatten, waren von diesem Manne angewidert. Kunz schreibt: Der Mensch war, trotz seiner Jugend, das Bild eines Greisen, ein ausgemergeltes Menschenmodell, die Male fleischlicher Begierden lagen auf Stirn, Augen und Wangen, und die Imbezillität seines Geistes leuchtete aus jedem gesprochenen Worte. |
Durch diesen jämmerlichen Nebenbuhler, der als abgefeimter Lüstling (Berganza) es doch immerhin versteht, Julias Sinnlichkeit für sich zu gewinnen, fühlt sich Hoffmann, dem dies nicht gelungen ist, tief in seiner Männlichkeit gekränkt. Zu seinem Entsetzen muss er erleben, wie Julia unter den Händen dieses Mannes sich plötzlich verändert. Ktch - lüstern freundlich [wie eine] die besondere Er[fahrungen] gemacht hat, notiert er am 09.04.1812. Er ist nicht sonderlich erbaut über die Tatsache, dass für das Körperliche der Frau offenbar jemand anders zuständig ist und er sich mit der Rolle des Empfängers von Seelenbekenntnissen zufriedengeben muss. Am 25.04.1812 berichtet er: Höchst merkwürdiges Gespräch mit Ktch: >Sie kennen mich nicht - meine Mutter auch nicht - niemand - ich muss so vieles tief in mich verschließen - ich werde nie glücklich sein<. |
Die aufgestaute Wut auf den Nebenbuhler, der Neid und die Verachtung, die er ihm entgegenbringt, das verletzte Gefühl der Liebe, die Demütigungen, die Enttäuschungen - alles dies bricht schließlich aus ihm heraus bei einem Ausflug nach Pommersfelden (06.09.1812), zu dem das Brautpaar auch ihn eingeladen hat. |
Es wird viel getrunken. Graepel ist der dröhnende Mittelpunkt der Runde. Man will in den Abenstunden noch etwas spazierengehen. Kunz, der auch dabei war, erzählt: Mit sichtbarer Anstrengung erhob sich der Bräutigam von seinem Sitze, der Braut den Arm bietend. Hoffmann und ich schlenderten hinter dem Brautpaar her, die übrige Gesellschaft folgte gruppenweise. Kaum im Hofe vor dem Schloss angekommen, bemerkten wir, dass der Herr Bräutigam gewaltige Winkel, bald rechts, bald links, ausmaß, und die Braut kaum im Stande war, ihn zu halten. Ein derber Ruck geschah, der die arme Julia niederzureißen drohte; - Hoffmann sprang, sie zu halten, hinzu, ich auf die Seite des Sinkenden; allein zu spät, - der Sturz war geschehen, und der Ehekandidat lag, alle Viere von sich streckend, auf dem Erdboden. Julia erblasste, rang die Hände, die Gesellschaft versammelte sich im Kreise um den Gestürzten, Hoffmann glühte vor Zorn, und sich gegen mich wendend, entfuhren ihm die mit lauter Stimme gesprochenen Worte: >Sehen Sie, da liegt der Sch-hund! Wir haben doch auch getrunken, wie er, uns passiert so etwas nicht! Das kann nur so einem gemeinen, prosaischen Kerl passieren!< Alles erschrak bei diesen, mehr schreiend, als redend ausgestoßenen Worten. Julia warf Hoffmann Blicke der Verachtung zu, der Mutter entfuhren heftige Vorwürfe. (...) Er stand einen Augenblick wie niedergeschmettert, dann erhob er sich aber und entfernte sich mit schnellen, festen Schritten. - Das ist das Ende der Liebesgeschichte. Die Konsulin Mark verbietet Hoffmann das Haus. |
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Hoffmanns Liebe zu Julia blieb auch den Außenstehenden natürlich nicht verborgen. Einige haben sich später dazu geäußert. Speyer erwähnt die "Leidenschaft, welche sich Hoffmanns Seele immer heftiger bemeisterte. Kunz wird deutlicher: Eine tüchtige Portion Sinnlichkeit hatte im Hause seiner Phantasie Platz genommen. Das aber will Julia Mark 30 Jahre später nicht wahrhaben. O gewiss, schreibt sie 1837, sein Gefühl für mich war anderer Natur als Kunz es der Welt verkündet. Mit "niederer" Sinnlichkeit soll das alles nichts zu tun gehabt haben; der Einfluss, den er auf mich übte hielt mich frei von allem Trivialen des gewöhnlichen Mädchenliebens. Kunz hatte noch etwas anderes verkündet, was Julia später ebenfalls empört abstritt. Kunz schreibt: Seine Liebe zu Julien kann man einen fixen Wahnsinn nennen, da sie nicht durch das geringste Entgegenkommen vonseiten der Geliebten erwidert, ja, in späterer Zeit vielleicht bemitleidet ward. Profanen musste sie ein Gegenstand des Spottes werden, wenn sie sich die beiden Liebenden gegenüber dachten . Julia widerspricht: Ganz erdichtet jedoch ist, dass ich Hoffmann mit Verachtung begegnet hätte, es kann nicht wahr sein, ich weiß es noch, wie damals gerade mein geängstetes Gemüt am innigsten sich zu ihm wandte. |
Wenn Kunz von Verachtung spricht, dann übertreibt er wahrscheinlich, doch dass in Bamberger Kreisen Spott über Hoffmanns Leidenschaft für Julia herrschen musste, lässt sich denken. Der gescheiterte Musikdirektor, ohne Vermögen, bereits verheiratet, nicht gerade eine blendende äußere Erscheinung, mit geringem sozialen Prestige; dagegen Julia: hübsch, jung, aus bester Familie, für eine Geldheirat vorgesehen - zwischen den beiden klaffte ein Abgrund, der schon komisch wirkte. Hoffmanns Liebe hätte und hatte nie eine reelle Chance gehabt. |
Julias Ehe mit Graepel war unglücklich und endete nach wenigen Jahren mit einer damals noch seltenen Scheidung. Wenig später starb Graepel. 1821, ein Jahr vor Hoffmanns Tod heiratete Julia erneut und zwar ihren Cousin Ludwig Marc, den Sohn ihres Onkels, des Arztes Dr. Adalbert Friedrich Marc. [3] |
Der Einfluss Julia Marks auf Hoffmanns Werke |
Hoffmann hat seine Erlebnisse mit Julia vielgestaltig in seine Literatur eingebracht. Sie scheint oft durch seine Frauengestalten hindurch, sei es die Cäcilia in Berganza , sei es die Julie in Abenteuer einer Silversternacht, sei es die Klara in Der Sandmann oder die Aurelie in Die Elexiere des Teufels bis hin zur Julia im Kater Murr und vielleicht sogar bis zur Rettel im Meister Johannes Wacht. |
Fast jede Liebesbeziehung, jede Beschreibung einer Frauengestalt ist geprägt von Julias idealisierter Erscheinung. Die Männer in Hoffmanns Texten sind in Hoffmanns ähnlicher Konstellation, leiden zumeist bis zum Wahnsinn. Beispielhaft allen voran: Hoffmanns alter Ego Johannes Kreisler. |
Besonders ausführlich und von der eigenen Anschauung, vom eigenen Erleben gerade frisch geprägt ist die literarische Verarbeitung der Hochzeit Julias in der Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, im Frühjahr 1813 geschrieben. |
Kurzbiographie E.T.A. Hoffmanns |
24. Januar 1776: Geburt in Königsberg/Ostpreußen |
1778: Scheidung der Eltern; der junge Hoffmann lebt mit seiner Mutter bei der Großmutter. |
1782: Besuch der reformierten Burgschule in Königsberg; Freundschaft mit Theodor Gottlieb von Hippel |
1792: Jurastudium an der Universität Königsberg; Hoffmann malt, zeichnet, komponiert, verfasst seinen ersten Roman und gibt Musikunterricht; verliebt sich dabei leidenschaftlich in die verheiratete Dora (Cora) Hatt |
1795: Examen als Regierungs-Auskultator; Amtstätigkeit in Königsberg |
1796: Um die Trennung von Dora Hatt herbeizuführen, betreibt der Onkel Hoffmanns Versetzung ans Gericht in Glogau. |
1798: Verlobung mit der Cousine Minna Doerffer; Referendarexamen und Versetzung ans Berliner Kammergericht |
1800: Assessor-Examen mit der Note vorzüglich; Versetzung als Assessor ans Obergericht in Posen |
1802: Lösung der Verlobung mit Minna; Heirat mit Maria Thekla Michalina (genannt Mischa) Rohrer. Hoffmann verteilt bei einer Karnevals-Redoute selbstgezeichnete bissige Karikaturen von preußischen Offizieren; darauf Annullierung seiner Ernennung zum Regierungsrat und Strafversetzung nach Plock/Weichsel. |
1804: Ernennung zum Regierungsrat; Versetzung nach Warschau; Bekanntschaft mit Julius Eduard Hitzig und Zacharias Werne;Dirigent der Musikalischen Gesellschaft; Aufführung eigener Werke. Warschau wird von den franz. Truppen besetzt. |
1807: Die Franzosen entlassen alle preußischen Beamten, die nicht auf Napoleons Seite treten: Hoffmann ist ohne Stellung. Erfolglose Stellensuche in Berlin; Tod der Tochter Cäzilia |
1808: Kapellmeister am Bamberger Theater |
1809: Bankrott des Theaters; Mitarbeiter der Allgemeinen Musikalischen Zeitung |
1810: Direktionsgehilfe, Hauskomponist, Bühnenarchitekt, Kulissenmaler am Bamberger Theater |
1811: Aufgabe der Tätigkeit als Direktionsgehilfe; Hoffmann gibt wieder Musikstunden und verliebt sich wieder in eine Schülerin: Julia Mark. Bekanntschaft mit Carl Maria von Weber; Besuch bei Jean Paul in Bayreuth |
1812: Hochzeit von Julia Mark mit Georg Graepel |
1813: in Dresden und Leipzig; Engagemant als Theaterkapellmeister in Dresden; Belagerung und Eroberung Dresdens durch die Franzosen. |
1814: nach Auseinandersetzungen Entlassung aus dem Theater; Eintritt ins Berliner Kammergericht; Bekanntschaft mit de la Motte Fouque, Chamisso, Tieck |
1815: als Expedient im Justizministerium; Freundschaft mit dem Schauspieler Ludwig Devrient; Bekanntschaft mit Brentano |
1816: Uraufführung seiner Oper Undine; Liebe zur Hauptdarstellerin Johanna Eunicke; Ernennung zum Kammergerichtsrat |
1819: schwere Erkrankung; Reise nach Schlesien; Ernennung zum Mitglied der Immediat-Commission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe; Hoffmann beweist Rückgrat: Konflikt mit dem Berliner Polizeidirektor |
1820: Protest Hoffmanns gegen die Verhaftung des Turnvaters Jahn |
1821: Hoffmann reicht seine Demission ein; Ernennung zum Mitglied des Oberappellationssenates am Kammergericht |
1822: Lähmung: Einleitung eines Disziplinarverfahrens, weil Hoffmann im Meister Floh den Polizeidirektor karikiert hat, und Beschlagnahme des Meister Floh; |
25. Juni 1822: Tod Hoffmanns in Berlin |
4/2003 Christine Prihoda, Nina Glowatzky (11 b) |
Quellen: |
Anmerkungen: |
[1] |
F. u. V. V. Bbg. = (vermutlich) Fahr- und Verkehrsverein Bamberg |
[2] |
Der Deckname Käthchen bezieht sich auf Kleists Schauspiel Das Käthchen von Heilbronn. Das Käthchen aus dem Ritterstück ist in demselben Alter wie Julia. Beide sind schon Frauen, haben aber noch kindlichen Liebreiz. |
[3] |
Man beachte die Schreibweise des Namens mit "c". Latinisiert, aber mit "k" ist den Bambergern der Name "Mark" heute noch bei der Markusbrücke, der Markusstraße und dem Markusplatz geläufig. - Dr. Adalbert Friedrich Marcus (1753-1816) war der Leibarzt des vorletzten Bamberger Fürstbischofs Franz Ludwig von Erthal (1779-1795), der das damals europaweit modernste Krankenhaus erbauen ließ - im Wesentlichen nach Plänen von Dr. Marcus. Der begnadete Arzt war der Onkel von Julia Mark. - "Julias Bruder Moritz August Marc war künstlerisch sehr begabt. Dieses Talent gab er über seinen Sohn Wilhelm an seinen Enkel Franz Marc weiter. Dieser begründete 1911 mit Wassiliy Kandinsky die Künstlervereinigung "Blauer Reiter" und wurde zu einem der bedeutendsten Maler des deutschen Expressionismus." Aus: FREISE-WONKA, C.: Geheimnisvolles Bamberg. Gudensberg-Gleichen: Wartberg Verlag, 2002; S. 12. |